Dienstag, 18. September 2007

Wie doll muss man glauben?

Erstaunlich, was jetzt über Mutter Theresa bekannt wird. Der Pattloch Verlag veröffentlichte kürzlich postum private Aufzeichnungen und Briefe, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. In ihnen wird deutlich, wie sehr Mutter Theresa mit Glaubenszweifeln und tiefen Depressionen zu kämpfen hatte. Das Bild von der strahlenden Glaubensheldin stimmt offensichtlich nicht. Stattdessen glaubte sie blind gegen das Gefühl der Abwesenheit Gottes an. Für sie war Gott oft unendlich weit weg.

Dem steht das gegenüber, was sie aus Liebe zu Jesus und aus tiefer Überzeugung gelebt hat. Wenn es ein Sinnbild gibt für ein lebendiges, kraftvolles, überzeugendes Christsein, dann diese kleine alte Frau. Die ganze Welt war überwältigt und manchmal auch beschämt von der Art, wie sie Barmherzigkeit und Nächstenliebe lebte. Wie passt das zusammen?

Vor kurzem dachten wir – ein paar ‚christliche Vollzeitler’ – gemeinsam über einen kurzen Abschnitt aus dem Neuen Testament nach (Lukas 17). Die Schüler von Jesus fragen ihren Lehrer: „Stärke unseren Glauben.“ Jesus antwortet seltsam: „Wenn euer Glaube nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann könnt ihr zu diesem Baum sagen: ‚Reiß dich aus und verpflanz dich ins Meer!’“

Wir fanden: eine blöde Antwort. Macht Jesus sich über seine Schüler lustig? Macht er ihnen Druck – „Ihr habt ja noch nicht einmal einen so kleinen Glauben …“? Oder ist seine Antwort ein ‚Nein’: „Stärke unseren Glauben!“ – „Nein. Wozu? Ihr braucht nicht viel davon.“

Spannend sind die Verse die dann folgen. Jesus fährt fort: „Wenn ihr das tut, was euer Herr von euch fordert, ist das dann etwas Besonderes, auf dass ihr stolz sein könnt? Nein. Sondern ihr tut nur eure Pflicht. Und daran tut ihr gut. Mehr wird von euch nicht gefordert.’

Der senfkorngroße Glaube ist ein Glaube, den jeder aufbringen kann. Jeder, der bereit ist, das zu tun, was Gott von ihm fordert. Und sei es so etwas Sinnloses, wie einem Baum zu befehlen, er solle sich ins Meer pflanzen.

Mutter Theresa war gehorsam. Sie hat mehr getan, als Bäumen zu befehlen. Dass sie dabei keine heldenhafte innere Gewissheit empfand, ist kein Widerspruch. Gott handelte durch sie. Wie groß die Kraft der Liebe Gottes war, die in ihr wohnte, erfährt man aus dem Buch eines ehemaligen Mediums, Klaus Kenneth. Kenneth, der über unglaubliche spirituelle Macht verfügte, suchte Mutter Theresa in Indien auf, weil er hoffte, von ihr den letzten Schritt zur endgültigen Macht zu lernen. Als er vor der hutzeligen kleinen Frau stand, konnte er nicht anders, als hemmungslos zu weinen. Die Liebe, die er in ihr spürte, war größer als seine Fähigkeiten. Diese Begegnung war ein wichtiger Schritt für ihn auf dem Weg zum Christsein.

Freitag, 17. August 2007

Parade für Jesus

Neulich saß ich auf unserem Balkon und hatte endlich mal wieder Zeit, die Bibel zu lesen. Ich las das 58. Kapitel des Propheten Jesaja. Ein Satz traf mich besonders: „Eure barmherzigen Taten gehen vor euch her, meine Macht und Herrlichkeit beschließt euren Zug.“ (Vers 8b) Es ist ein viel geäußerter Wunsch von Christen, mehr von Gottes ‚Macht und Herrlichkeit’ zu erleben. Mir geht es genauso. Ich wünsche mir seine sichtbare und spürbare Macht z. B. dann, wenn ich predige und versuche, andere davon zu überzeugen, dass es diesen Gott wirklich gibt. Oder dann, wenn ich für andere zu Jesus bete, dass er ihnen hilft und sie möglicherweise heilt. Oder dann, wenn wir Veranstaltungen durchführen, um andere mit dem Glauben an Jesus bekannt zu machen.

In Momenten wie diesen bin ich für eine sichtbare Bestätigung von Gottes Macht dankbar. Denn schließlich wird dadurch deutlich, dass ich mit dem, was ich sage und glaube, Recht habe. Ein Punkt jedoch aus diesem Satz in Jesaja trifft mich wie ein Faustschlag: Die Herrlichkeit Gottes beschließt den Zug. Unsere barmherzigen Taten führen die Parade an, die Gott groß machen soll! Ich persönlich würde mir die Reihenfolge genau andersherum wünschen. Ich wünschte, Gottes Macht und Herrlichkeit wäre allen Menschen deutlich sichtbar. Und wenn dann klar wäre, dass wir keine Spinner sind, die an einen unbekannten Weltschöpfer glauben, dann fänden wir sicher auch noch Zeit, dem einen oder anderen etwas Gutes zu tun.

Gott will es anders herum. Er fordert uns auf, dass wir uns den Menschen barmherzig zuwenden und ihnen Gutes tun. Denn das entspricht seinem Wesen, und so hat er es auch in Jesus demonstriert. Erst dann wird seine Herrlichkeit sichtbar. Und den Leuten wird klar werden, dass es Gott ist, der sich höchstpersönlich um sie kümmert.

Samstag, 14. Juli 2007

Was Leidenschaft killt

Eine Krise

Ich war eigentlich ganz froh, als ich merkte, dass ich krank wurde. Ein leichter grippaler Infekt, sonst nichts. Eine gute Gelegenheit, sich ohne schlechtes Gewissen aufs Sofa zu legen und eine Woche zu entspannen. Insgeheim legte ich mir folgenden Plan zurecht: Ich würde genau eine Woche krank sein und mich währenddessen erholen. Danach würde ich mich wieder mit Elan und Begeisterung in die Arbeit stürzen.

Nach genau einer Woche stand ich auf und wollte meine Rückkehr ins Dienstleben mit einem Gebetsspaziergang einläuten. Viel früher als geplant schleppte ich mich entkräftet und schwitzend wieder in unsere Wohnung. Ich war immer noch krank! Frustriert legte ich mich ins Bett. Ab jetzt genoss ich keine Minute mehr. Mich quälte ein schlechtes Gewissen. Ich konnte doch nicht einfach hier herumliegen! Ich musste doch etwas tun! Eine Art Identitätskrise im Kleinen baute sich auf. Was war ich wert, wenn ich nichts Wertvolles produzierte? Welche Art von Selbstbewusstsein kann einer haben, der nur unnütz im Bett liegt?

Anfänglicher Enthusiasmus

Als ich mich entschied, voll in die Jugendarbeit einzusteigen, geschah das aus Begeisterung. Ich lernte Jesus auf eine neue, mitreißende Art kennen, mitten in einer Lebenskrise. Fast unmittelbar darauf machte er mir klar, dass ich in einer Jugendgruppe vor Ort mithelfen sollte. Zunächst widerwillig, dann immer begeisterter ließ ich mich darauf ein. Ich spürte, dass dies mein Platz war. Mein Gabenspektrum schien auf diese Art von Arbeit abgestimmt zu sein. Leidenschaftlich stürzte ich mich in die Aufgaben und vernachlässigte darüber völlig mein Studium.

So kam es, dass ich zwei Jahre später Jugendevangelist wurde. Ich brannte dafür, dass Jugendliche zum Glauben an Jesus kamen. Die Arbeit ging mir leicht von der Hand – bis zu dem Moment, als mich der grippale Infekt erwischte. In dieser Krise passierte es zum ersten Mal, dass ich innehielt und mich fragte: „Warum machst du eigentlich das, was du machst? Was treibt dich an? Woher kommt dein schlechtes Gewissen, nur weil du ein paar Tage lang nicht arbeiten kannst?“

Etwas war verloren gegangen

Mir fiel beim Nachdenken auf, dass mir etwas verloren gegangen war. Wann das passiert war, wusste ich nicht. Aber ich konnte ein Vorher und Nachher ausmachen. Vorher, ganz zu Anfang, handelte ich aus Liebe zu Jesus. Vieles, was ich aus dieser Leidenschaft heraus getan hatte, war ungeschickt, überzogen, manchmal sogar richtig lieblos gegenüber anderen Christen gewesen. Aber ich brannte lichterloh. Ich wollte die ganze Welt umkrempeln aus Liebe zu Jesus, notfalls im Alleingang.

Mittlerweile trieb mich etwas anderes an. Zum Beispiel der Gedanke, dass ich zu wenig arbeiten könnte. Schließlich gab es Menschen, die mich mit ihren Spenden unterstützten. Ich verglich mich mit anderen Vollzeitlerinnen und Vollzeitlern und war unangenehm berührt, wenn sie mehr Termine hatten, mehr Zeit im Büro verbrachten, weitere Wege fuhren und einen größeren Aktionsradius hatten als ich. Andererseits machte es mich stolz, wenn mein voller Terminkalender bestaunt wurde, wenn ich mehr Stunden arbeitete als andere und weiter herumkam als sie. Niemand war dafür verantwortlich, dass ich so empfand. Ich selbst war mein schlimmster Sklaventreiber.

Ohne es zu merken, hatte ich begonnen, mich über das zu definieren, was ich leistete. Mein Selbstwertgefühl hing davon ab, was ich produzierte und ob ich für irgendwen oder irgendwas ‚nützlich’ war. Meine Liebe zu Jesus dagegen schien bei dem, was ich tat, nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Drei Leidenschafts-Killer

Diese Krisen, in denen ich kurz anhalte und mich selbst hinterfrage, habe ich seitdem immer wieder. Es sind oft Phasen der Erschöpfung, in denen mir klar wird, dass von meiner ursprünglichen Leidenschaft so gut wie nichts übrig geblieben ist. In diesen Momenten, in denen ich fast zwangsläufig zur Ruhe komme, stelle ich mir die Frage: ‚Wie konnte es dazu kommen, dass meine Leidenschaft derartig abgenommen hat?’ Ich persönlich stoße immer wieder auf drei Ursachen:

1. Ziellosigkeit: Als ich enthusiastisch in die Jugendarbeit stürmte, hatte ich ein klares Ziel vor Augen. Ich wollte, dass die Jugendlichen, die zu meiner Jugendarbeit gehörten, Jesus kennen lernten, so wie ich ihn kennen gelernt hatte. Sie sollten verstehen, wie sehr er sie liebte, und nicht anders können, als ihn zurückzulieben. Ich hatte begriffen, dass Jesus sich nichts sehnlicher wünschte als das. Und ich hatte mich total mit seinem Anliegen identifiziert und versuchte, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

Heute arbeite ich nicht mehr auf lokaler sondern überregionaler Ebene. Ich habe nicht mehr eine konkrete Gruppe von Jugendlichen als Ziel meiner Bemühungen, sondern ‚die junge Generation’. Aber auch hier treibt mich dieses Ziel an – wenn ich es vor Augen habe. Ich bin davon überzeugt, dass Jesus der jungen Generation ein unglaubliches Angebot macht, und dass er möchte, dass ich – zusammen mit vielen anderen – ihnen dieses Angebot überbringe. Ich merke, wie mich Leidenschaft packt, wenn ich realisiere, worum es bei meiner Arbeit geht. Umgekehrt verkommt mein Beruf zum ‚Job’, wenn ich das Ziel aus den Augen verliere. Und das führt zu den anderen beiden Leidenschafts-Killern.

2. Routine: Dass ich meinen Beruf ‚erfolgreich’ (was immer das in meinem Metier heißt) ausübe, hat zu einem gewissen Teil mit meiner Begabung zu tun. Wie das Wort ‚Gabe’ schon sagt, handelt es sich hierbei um etwas, für das ich nichts kann. Zu einem anderen Teil hängt der ‚Erfolg’ meiner Arbeit von einem gewissen handwerklichen Geschick ab: Sprache ist ein Handwerk, das man lernen kann und in dem man sich weiterbilden muss.

Die Gefahr der Routine besteht darin, dass ich, wenn ich das Ziel aus den Augen verliere, die vor mir liegenden Aufgaben leidenschaftslos abarbeite und mich dabei auf mein Handwerk verlasse. Das ist ganz leicht. Ich bin immer noch in der Lage, Zuhörer zu beeindrucken. Und verrückter Weise lässt Gott sich nicht davon abhalten, dadurch zu wirken und sogar Wunder zu tun. Derjenige, der hierbei den größten Schaden davonträgt, bin ich selbst. Ein routinierter, leidenschaftsloser Dienst für Jesus höhlt denjenigen aus, der ihn tut. Wer in diese Sackgasse eingebogen ist, hat großes Glück, wenn er krank wird und Zeit zum Nachdenken findet.

3. Leistungsdruck: Eine andere Folge von Ziellosigkeit. Wer nicht mehr nach vorne schaut, schaut zur Seite. Und neben sich entdeckt er die anderen Arbeiterinnen und Arbeiter für Jesus. Was liegt da näher, als sich miteinander zu vergleichen und imaginäre Hierarchien aufzustellen? Leistungsdruck hat eher selten seine Ursache in fordernden Vorgesetzten oder unzufriedenen Gemeindemitgliedern. Häufiger ist es meine mangelnde Selbstachtung oder mein fehlgeleitetes Pflichtgefühl oder meine Profilneurose, die mich antreiben. Die Sklaventreiber sind in uns, nicht um uns herum. Ich stelle mir meinen persönlichen Sklaventreiber als einen Fahrrad fahrenden Preußen vor, der aus lauter Pflichtgefühl und Geltungsbedürfnis nicht aufhören kann zu radeln.

Um die Leidenschaft bei von Leistungsdruck geplagten Menschen wieder neu zu entfachen, hilft nur eines: Entspannung. Auch wenn ein deutsches Sprichwort uns einschärft: ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang’. Sehr viel häufiger ist es die Überlastung, die der Anfang aller Laster und der Killer jeder Leidenschaft ist. Wer überlastet ist, greift zu zweifelhaften Seelentröstern, zu denen auch bei christlichen Vollzeitlerinnen und Vollzeitlern nicht selten Alkohol und Pornografie gehören.

Der Verlust der Leidenschaft für das, was wir tun, beginnt da, wo wir Jesus aus den Augen verlieren. Wer erkennt, dass Jesus sie oder ihn liebt, kann nicht anders, als ihn zurückzulieben. Wer Jesus liebt, kann nicht anders, als das leidenschaftlich zu wollen, was er will.

Montag, 2. Juli 2007

Wie man ein Heiliger wird

Heilige wie du und ich

Ich habe das große Glück, mit mehreren Heiligen in einem Haus zu leben. Der, den ich am häufigsten ehrfürchtig bestaune, hört auf den Namen ‚Pumbi’. Sein richtiger Name lautet natürlich anders. Der heilige Pumbi kann einen ganzen Raum zum Strahlen bringen. Wenn er durch die Fußgängerzone läuft, drehen sich Passanten um und schauen ihm nach. Er sagt immer die Wahrheit. Ohne Ansehen der Person. Kinder lieben ihn. Sie fürchten ihn aber auch. Es kann nämlich sein, dass er ihnen unvermittelt mit dem Finger ins Auge sticht. Doch die Menschen sehen ihm das nach. Nicht weil er so heilig ist. Sondern weil er behindert ist. ‚Pumbi’ ist vier Jahre alt und autistisch. Ich finde oft, dass Gottes Herrlichkeit in ganz außergewöhnlichem Maß in ihm aufstrahlt.

Eine andere Heilige, mit der ich zusammen leben darf, bezeichnet sich selbst oft als Zweiflerin. Ich würde sie eher eine ‚Kämpferisch-Gläubige’ nennen. Sie schluckt nicht so einfach, was andere sagen. Selbst wenn es Gott ist. Ich habe schon unendlich viel von ihrem störrischen Zweifeln und Nachhaken gelernt. Ich durfte stellenweise dabeisein, wenn sie Gott ihre Fragen an den Kopf knallte. Das hat mich oft verstört, aber im Nachhinein sehr bereichert.

Es leben noch andere Heilige in unserem Haus. Da ist die eine, die darüber traurig ist, dass sie unsere Nachbarschaft nicht stärker evangelisieren kann, weil sie vor lauter Hausarbeit nicht dazu kommt, und die an Heiligabend unterm Weihnachtsbaum eine Kissenschlacht anzettelt, obwohl man das in ihrem Alter nicht mehr macht. Oder der andere, der sich ausgebrannt aus seinem Pastorenamt zurückziehen musste und dessen Lebensweisheit mich immer wieder in Erstaunen versetzt.

Ich bin ein glücklicher Mensch. Denn meine Freundschaft zu heiligen Menschen beschränkt sich nicht auf meine Hausgenossen. Eine weitere Heilige z. B., die mir den allergrößten Respekt abnötigt, wohnt in einer anderen Stadt und ruft uns in unregelmäßigen Abständen an. Sie hat in ihrer Kindheit ein schweres Trauma erlitten und leidet noch heute, einige Jahrzehnte später, darunter. Sie ist so schwer gekennzeichnet, dass sie manchmal in ihrer Verletztheit und Verwirrung nicht mehr weiß, wie man ein Bett macht. Aber wie deutlich sie Gottes Stimme hört und wie klar er durch sie redet, ist einfach beeindruckend. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass es fast immer Gottes Stimme ist, die da, gedämpft durch Antidepressiva, durch den Telefonhörer an mein Ohr dringt. Sie trifft einfach immer ins Schwarze!

Zerbrechliche Gefäße

Alle diese Menschen sind Heilige. Nach menschlichen Maßstäben haben sie nichts Besonderes vorzuweisen. Sie sind zu jung, zu unentschlossen, zu launisch, zu ausgepowert, zu unscheinbar, zu beschädigt. Aber wer genau hinsieht, entdeckt in ihnen die Herrlichkeit Gottes. Nichts anderes kann Paulus gemeint haben, als er schrieb: „Durch uns sollen alle Menschen Gottes Herrlichkeit erkennen, die in Jesus Christus sichtbar wird. Diesen kostbaren Schatz tragen wir allerdings in einem zerbrechlichen Gefäß. Denn so wird jeder erkennen, dass die außerordentliche Kraft, die in uns wirkt, von Gott kommt und nicht von uns selbst.“ (2. Korinther 4, 6b-7)

Was ist eine Heilige, was ist ein Heiliger? Heilige sind normale Leute, mit denen etwas Besonderes passiert ist: Sie haben Jesus getroffen. Und diese Begegnung hat ihr Leben völlig verändert. Jesus hat sie rausgeholt aus ihrem alten Leben und reingeholt in ein neues Leben.

Wenn etwas oder jemand heilig ist, dann ist der Gegenstand oder die Person ausgesondert worden zu einem speziellen heiligen Dienst. Gott sagt zu jemandem: „Dich will ich haben. Du sollst für mich etwas tun. Du sollst anderen vor Augen führen, wie ich bin. An dir sollen andere mein Wesen, meinen Charakter erkennen.“

Es ist also nicht der Mensch, der darüber entscheidet, ob er heilig sein will oder nicht. Sondern es ist Gott, der darüber befindet. Gott sondert sich Leute aus. Er entscheidet. Menschen werden nicht zu Heiligen, weil sie alles richtig machen. Sondern Menschen können ein Leben führen, das Gott gefällt, weil er sie zu Heiligen gemacht hat.

Was uns beunruhigen sollte

Heilig wird ein Mensch, wenn sie oder er dem Wunsch Gottes zustimmt und sich aussondern lässt. Man tut das, indem man zu Jesus sagt: „Wenn du so sehr an mich glaubst, dann will ich auch an dich glauben. Verändere mich so, wie es dir gefällt.“ Wer sich auf diese Weise an Jesus bindet, empfängt von ihm den Heiligen Geist, die Kraft Gottes. Dies ist der Moment, in dem ein Mensch zu einer Heiligen oder einem Heiligen wird: wenn der Geist Gottes ihn erfüllt.

Das menschlich gesehen Unfassbare ist, dass Gott sich nicht zuerst an die Helden unter uns wendet: die Moralischen, die Mächtigen, die Schmerzfreien, die Unerschrockenen, die Begabten, die Erfolgreichen usw. Im Gegenteil. Es sind vor allem die Kaputten, die Zerstörten, die Verletzten, die Unbegabten, die Traurigen, die Behinderten, in denen Gott leben will und durch die er handeln und reden will. Deshalb sagt Jesus in seiner Bergpredigt: „Glücklich sind die geistig Armen … glücklich sind die Traurigen … glücklich sind die Sanften …“ Glücklich sind die, die durch das Raster unserer erfolgs- und machtgeilen Welt fallen. Denn gerade sie will Gott zu seinem Dienst aussondern. Uns alle, die wir versuchen, zu den Schönen und Mächtigen zu gehören, sollte das eigentlich beunruhigen.

Wo Heilige besonders gefordert sind

Ironischerweise ist es nicht unsere Gesellschaft, in der es am schwersten ist, als Heilige bzw. Heiliger zu leben. Es ist nicht auf der Autobahn, nicht am Arbeitsplatz, nicht im Verein oder auf dem Fußballplatz. Am schwersten haben es die Heiligen in der Gemeinschaft der Heiligen: in der Gemeinde. Hier werden die schlimmsten Sünden verbrochen. Nur hier gibt es diese mit Freundlichkeit vermengte Boshaftigkeit, die die tiefsten Wunden schlägt. Das von Heiligen verübte Unrecht ist das hinterhältigste, weil man es von ihnen am wenigsten erwartet. Darum ist es die wichtigste Aufgabe aller Heiligen, zunächst innerhalb der christlichen Gemeinde ihrem Status als Heilige gemäß zu leben. Denn wenn es hier gelingt, dann gelingt es auch an jedem anderen Ort dieser Welt.

Paulus schreibt an die Christen in Kolossä: „Weil ihr von Gott auserwählt und seine geliebten Kinder seid, die zu ihm gehören, sollt ihr euch untereinander auch herzlich lieben in Barmherzigkeit, Güte, Demut, Nachsicht und Geduld. Streitet nicht miteinander, und seid bereit, einander zu vergeben, selbst wenn ihr glaubt, im Recht zu sein. Denn auch Christus hat euch vergeben. Das Wichtigste ist die Liebe. Wenn ihr sie habt, wird euch nichts fehlen.“ (Kolosser 3, 12-14)

Menschen wie du und ich

So zu leben, erfordert übermenschliche Kräfte. Man muss schon ein Gott sein, um in der Lage zu sein, sich Unrecht gefallen zu lassen, bereits vergeben zu haben, noch bevor der andere darum bittet, die unerträglichen Eigenschaften des anderen geduldig zu ertragen. Welcher Mensch wäre dazu in der Lage?

Nur Heilige, also Menschen wie du und ich. Menschen, in denen die Kraft Gottes wohnt. Weil sie sich von Gott aussondern ließen zu einem besonderen, heiligen Leben. Weil sie sich mit einer Kraft erfüllen lassen – jeden Tag neu – die nicht irdisch, sondern göttlich ist. Und die auf diese Weise das sind, was der Mensch von Anfang an eigentlich sein sollte: Ebenbilder Gottes.

Heilige sind die wahren Menschen, sie leben das wahre Leben, d. h. die Art von Menschsein, die Art von Leben, wie Gott es sich von Anfang an vorgestellt hatte. Das war das Selbstverständnis der ersten Christen. Und das sollte auch unser Selbstverständnis sein. Weil es stimmt. Du und ich – wir sollen den anderen zeigen, wie Gott ist und was es bedeutet, wirklich Mensch zu sein.

Dazu müssen wir nicht sonderlich beeindruckend sein. Es reicht völlig, ein ‚zerbrechliches Gefäß’ zu sein, mit Rissen, Macken und Löchern. Wichtiger als das Äußere ist der Inhalt: Gottes Herrlichkeit, die er in uns hinein gibt. Je rissiger das Gefäß, desto sichtbarer der Inhalt. Eigentlich ist es ganz leicht. Worauf warten wir noch?

Mittwoch, 30. Mai 2007

Karacho TV - bald

Liebe Freunde gepflegter Unterhaltung. Ich weise hiermit darauf hin, dass die nächste Show von Karacho TV in Vorbereitung ist. Der Dreh wird voraussichtlich am 7. Juni stattfinden. Nur wenig später werdet ihr an dieser Stelle das Ergebnis unserer Bemühungen betrachten können. habt bis dahin noch ein wenig Geduld. Vielen Dank.

Freitag, 25. Mai 2007

2-fach verwurzelt


Über der Tür meines Büros hängt ein großes Kurt-Cobain-Poster. Der Rock-Musiker lässt seinen linken Arm lässig über die Gitarre hängen, während er mit der Rechten die Zigarette zum Mund führt und kräftig zieht. Ich habe mir schon den einen oder anderen irritierten Kommentar anhören müssen von Menschen, die mich in meinem Büro besuchten. Kein Wunder. Schließlich galt Kobain als das Sprachrohr einer Generation, die keine Perspektive und keine Hoffnung hatte, war für seinen Drogen- und Tabletten-Missbrauch bekannt und erschoss sich am 5. April 1994 im Alter von 27 Jahren mit einer Schrotflinte selbst. Man sagt, man habe eine dreifache Überdosis Heroin in seinem Blut nachgewiesen. Warum hängt sein Poster über meiner Tür, wenn das, was er gesagt und geschrieben und gelebt hat so gar nicht mit dem übereinstimmt, was ich als Christ glaube? Ganz einfach: Er hat mich geprägt. Und ich kann seine Prägung nicht leugnen. Teile meiner Persönlichkeit, meines Lebensstiles, meiner Weltanschauung sind von ihm und seiner Musik beeinflusst. Er ist Teil meiner Kultur. Und damit ist er Teil meines Lebens.

Zeitgeist und Heiliger Geist
Als Christ lebe ich in einer Spannung. Ich bin immer zweifach verwurzelt: zu allererst im Evangelium. Aber dann auch in der Kultur, zu der ich gehöre. Ich bin im Evangelium verwurzelt, weil Jesus mein Herr ist. Das ist die Aussage des Evangeliums: Es gibt nur einen Herrn, und sein Name ist Jesus. Als ich Christ wurde, habe ich die Herrschaft von Jesus anerkannt. Und damit habe ich auch seine Maßstäbe und Wertvorstellungen übernommen. Aber ich bin auch in meiner Kultur verwurzelt. Und wahrscheinlich werde ich von ihr in einem viel höheren Maße geprägt, als mir das selbst oft bewusst ist. Die Spannung entsteht da, wo Evangelium und Kultur einander widersprechen.
Der Zeitgeist und der Heilige Geist – sie beide Hinterlassen ihre Spuren in unserem Leben. Das gilt selbst für jene Christen, die nicht müde werden, vor dem Zeitgeist zu warnen. Es liegt doch auf der Hand: Wenn ein Zehnjähriger ein begeisterter Anhänger der Hitlerjugend gewesen ist, wird er deren Einfluss auch in späteren Jahren niemals leugnen können, selbst dann, wenn er sich von seiner Vergangenheit total distanziert hat. Er mag beim Zusammenbruch des Dritten Reiches 1945 aufgewacht sein. Er mag später die Schuld der Deutschen erkannt und beklagt haben. Möglicherweise wird er als Erwachsener ein scharfsichtiger Kritiker des jeweiligen Zeitgeistes sein. Aber er wird den Einfluss des Zeitgeistes der vierziger Jahre auf sein Leben niemals leugnen und wahrscheinlich auch nie ganz ablegen können. Und ob die Zeitgeister der kommenden Jahre bei all seiner Scharfsicht spurlos an ihm vorbeigegangen sind, bleibt zu fragen. Wahrscheinlich nicht. Wie sollte es auch anders sein?

Über die Grenzen hinaus
Bedeutet das, dass wir uns dem Einfluss unserer Kultur unhinterfragt ergeben müssen? Natürlich nicht. Denn schließlich hat Jesus uns nicht nur von unserer Schuld und den Verletzungen der Vergangenheit befreit, sondern auch von den negativen Einflüssen unserer Kultur. Das bedeutet aber sehr wohl, dass ich dem Konflikt zwischen dem Evangelium und der Kultur nicht entkommen kann. Ich muss mich ihm stellen. Denn die Schnittstelle zwischen dem Evangelium und meiner Kultur bin zuerst ich selbst – und nicht etwa der Nachbar, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt und auch nicht das Teenie-Mädchen aus der Jugendarbeit, das so gerne buchfrei trägt.
Es ist schon richtig: Als Christ ist es unser Auftrag, unsere Kultur in Liebe mit der Wahrheit des Evangeliums zu konfrontieren. Aber diese Konfrontation mit der Wahrheit beginnt bei mir selbst. Ich stehe in der Verantwortung, mich selbst zu fragen: Wo folge ich den Maßstäben und Wertvorstellungen meiner Kultur anstatt denen des Evangeliums? Inwiefern prägen die Maßstäbe einer ökonomisch ausgerichteten Gesellschaft meinen Glauben und meine Vorstellung von Gemeinde? Will Jesus wirklich Wachstum um jeden Preis? Stimmt es wirklich, dass Frauen vor allem hübsch aussehen und gut moderieren können müssen? Ist der Mann wirklich der nie ermattende, schmerz- und angstfreie Held? Könnte es sein, dass Jesus liebevolle Beziehungen im Alltag höher bewertet als erfolgreich abgeschlossene Projekte? Ist Geld wirklich so viel wert, dass ich seinetwegen nachts nicht schlafen kann? usw. Wir müssen, wir dürfen, wir können unsere Kultur nicht ablegen, wie einen alten Pullover. Aber wir müssen wahrhaftig und liebevoll über ihre Grenzen hinausleben. Das unter anderem meinte Jesus, als er sagte: „Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.“ (Johannes 17, 16-18)

Mittwoch, 16. Mai 2007

Brot und Spiele

Ihr Großen tut doch, was ihr wollt
Und uns Kleinen lasst ihr spielen
Beschäftigt uns nur
Kauft uns stumm und vergnügt
Seht zu, dass wir nicht erlahmen

Denn dann könnt ihr nämlich
In aller Seelenruhe und
Begleitet von unserem Lachen
Die Welt verhökern, die Schätze verscherbeln
Bis wir uns räkeln und gähnen

Damit uns dann schließlich
Wenn wir jammern und weinen
Und ihr nicht mehr wisst, was noch tun
Der Karren, der morsche, um die Ohren fliegt –
Um kleine und um große